Ein Konzentrationslager in Kochendorf
Im Neckartal, zwischen Heilbronn und Heidelberg gelegen, befindet sich die Gemeinde Bad Friedrichshall-Kochendorf. Dort besteht von September 1944 bis März 1945 in unmittelbarer Nähe zum Ortskern und einem Salzbergwerk ein Konzentrationslager, in dem Menschen durch Arbeit, Hunger und Folter vernichtet werden. Mindestens 447 Häftlinge werden im Lager und auf dem anschließenden Todesmarsch getötet.
Die erste Belegschaft
Schon Mitte August trifft die erste Wachmannschaft in Kochendorf ein. Sie wurde aus dem Natzweiler Außenlager Vaihingen an der Enz überstellt. Das Lager in Kochendorf ist noch nicht vollständig aufgebaut. Die Wachmänner müssen nach ihrer Ankunft zunächst eine Waschbaracke bauen und ihre Unterkünfte einrichten. Bis die ersten Häftlinge eintreffen, üben sie das Schießen mit ihren Waffen. Der erste Häftlingstransport kommt erst zwei Wochen später, Anfang September, in Kochendorf an. Es sind insgesamt 653 Gefangene aus Polen, Italien, Luxemburg, jüdische Häftlinge aus Ungarn und einige Deutsche. Sie kommen aus den kurz zuvor evakuierten KZ-Außenlagern Thil und Longwy/Elsaß, wo sie von VW zur unterirdischen Fabrikation von "V-Waffen" ausgenutzt wurden. Mit dabei ist auch der künftige Lagerkommandant Eugen Büttner, ein skrupelloser Sadist, der im KZ eine zentrale Rolle spielen wird.Der Aufbau des Lagers
Video: Lagergelände
Klaus Riexinger zeigt wie das ehemalige Lagergelände heute aussieht und was vom Konzentrationslager übrig geblieben ist.Zur Person:
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Alltag im Lager: Kälte, Hunger und Arbeit
Im KZ Kochendorf müssen die Häftlinge unter katastrophalen Verhältnissen ums Überleben kämpfen. Krankheiten, Kälte, Hunger und körperlich harte Arbeit bestimmen den Alltag der Häftlinge. Sie werden brutal misshandelt, geschlagen und absichtlich unterernährt. Das erklärte Ziel der SS: Die Rüstungsproduktion zu steigern und die Häftlinge auf einem langsamen und qualvollen Weg zu vernichten.
Die Arbeit der Häftlinge
Der quälende Hunger
Trotz der körperlich schweren Strapazen, bekommen die Häftlinge kaum etwas zu essen. Morgens gibt es nur einen Becher Kaffee und im Bergwerk, während einer kurzen Mittagspause, einen Teller Suppe. Doch die ist wenig nahrhaft und besteht hauptsächlich aus heißem Wasser. Bei Fliegeralarm wird die Suppe nicht geliefert. Die Häftlinge müssen hungrig weiterarbeiten. Erst am Abend bekommt jeder 150 Gramm Brot und zehn Gramm Margarine. Diese Portionen sind so kalkuliert, dass die Häftlinge bei der harten Arbeit kontinuierlich schwächer werden. Der Tod der Menschen wird genau geplant. Im wöchentlichen Bericht an das Stammlager Natzweiler wird das Sterben der Häftlinge sachlich unter: "Abgang durch Tod" vermerkt.Krankheiten und Selektionen
Häftlinge, die nicht mehr arbeiten können, werden bei so genannten Selektionen aussortiert. Dabei müssen sich die Häftlinge wieder in Fünferreihen aufstellen und der Lagerkommandant zeigt mit dem Finger auf die Männer, die in den Tod geschickt werden sollen. Diesen Männern wird gesagt, sie kämen in ein Erholungsheim, als sie kurz darauf von einem Lastwagen abgeholt werden. Doch in Wirklichkeit werden sie in Vernichtungslager deportiert und anschließend ermordet. Gleichzeitig fordert der Lagerkommandant in Kochendorf bereits wieder neue arbeitsfähige Häftlinge aus anderen Außenlagern an. Die hygienischen Zustände im KZ sind katastrophal. Krankheiten wie Fleckenfieber oder Typhus kursieren und die Häftlinge sind von Läusen befallen. Auch die Unterkünfte sind weder beheizt noch isoliert. Es regnet in die Baracken herein und die Wolldecken und Anzüge der Häftlinge sind ständig durchnässt. Einige der geschwächten Männer sterben schon allein an Unterkühlung.Video: Interview mit Klaus Riexinger
Wie die Häftlinge in Kochendorf vernichtet werden sollten und was das Lager vom KZ Auschwitz unterscheidet.Zur Person:
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Konzentrationslager im Wandel
Konzentrationslager werden häufig mit Auschwitz gleichgesetzt - ein weit verbreiteter Irrtum. Denn Konzentrationslager hatten im Laufe des Dritten Reichs verschiedene Funktionen, die sich oft auch überschnitten haben. Diplompädagoge und Historiker Dr. Georg Fischer, von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz e. V., hat die einzelnen Aufgaben der Lager näher beleuchtet und diese in vier Phasen unterteilt.
Phase 1: 1933 bis 1936
Anfangs dienen Konzentrationslager als "frühe Lager" für politische Gegner. Dort werden sie einfach weggesperrt und sollen umerzogen werden. Schon vor 1933 existieren die so genannten "wilden" Lager der Sturmabteilung (SA), die sich meistens in Kellern leerstehender Häuser oder in alten Schlössern befinden. Nachdem die SA 1934 nahezu aufgelöst wird, übernimmt die SS die alleinige Kontrolle über die Lager. SS-Chef Heinrich Himmler lässt das KZ-System in Dachau errichten. Dort werden auch SS-Wachmannschaften für andere Lager ausgebildet. Alle weiteren KZ werden nach dem Muster von Dachau gebaut.Phase 2: 1937 bis 1941
In dieser Zeit wird das Lagersystem aufgebaut und es kommen weitere Opfergruppen hinzu. Jetzt werden auch Asoziale, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, damals Bibelforscher genannt, Homosexuelle und Kriminelle verhaftet. Die Nationalsozialisten wollen das Volk gemäß ihrer Rassenideologie von "minderwertigen Rassen und unwertem Leben" befreien. Um die geplanten Großbauten von Hitlers Reichsarchitekten Albert Speer umzusetzen, werden KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit eingesetzt. Nach der Reichskristallnacht und dem Kriegsbeginn kommen tausende verhaftete Juden und Verschleppte aus den besetzten Gebieten hinzu. Um alle unterbringen zu können, werden weitere Lager erbaut. Die Juden sollen komplett aus dem deutschen Reichsgebiet vertrieben werden.Phase 3: 1941 bis 1943
Die großen Vernichtungslager entstehen. Die Häftlinge kommen mittlerweile aus allen besetzten Gebieten Europas und sollen systematisch vernichtet werden. Der Massenmord an den europäischen Juden, die so genannte "Endlösung der Judenfrage", wird planmäßig organisiert. In Osteuropa entstehen zahlreiche Vernichtungszentren. Dort sollen Millionen von Juden ermordet werden. Vor allem Frauen, ältere Menschen und Kinder werden meist gleich nach ihrer Ankunft im Lager in den Gaskammern umgebracht. Manche, meist junge oder Männer mittleren Alters, werden für die Zwangsarbeit selektiert. Zudem werden sie misshandelt und für medizinische Experimente missbraucht. Sobald sie zum arbeiten zu schwach sind, werden auch sie durch Massenerschießungen oder in den Gaskammern ermordet.Phase 4: 1943-1945
Die Niederlage der 6. Armee in Stalingrad 1943 bringt eine Wende im Kriegsverlauf. Hitlers Blitzkrieg scheitert und das Deutsche Reich muss hohe Verluste verschmerzen. Um den Endsieg doch noch zu erringen, sollen die KZ-Häftlinge für die Rüstungsindustrie eingesetzt werden. Die Funktion der Konzentrationslager wandelt sich ein weiteres Mal. Es entstehen zahlreiche Außenlager von bereits bestehenden Konzentrationslagern. Diese werden in der Nähe von Steinbrüchen, Bergwerken und Fabriken gebaut. In diesen Lagern gibt es weder Gaskammern noch einen Schussapparat. Die Häftlinge werden als Sklavenarbeiter für Rüstungsbetriebe eingesetzt und bekommen, trotz schweren körperlichen Strapazen, kaum etwas zu essen. "Vernichtung durch Arbeit" heißt die neue Methode, die weiteren hunderttausenden Menschen in Konzentrationslagern das Leben kostet.Zur Person:
Das Hauptlager Natzweiler-Struthof und seine Außenkommandos